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Es war immer Teamarbeit

Ein Interview mit Evelyn Carow

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf der Schnittmeisterin gekommen?

Mit Glück, viel Glück! Mein beruflicher Wunschgedanke war damals, ganz generell irgendwas mit oder beim Film, vielleicht auch beim Theater zu machen. 1949, ein Jahr nach der Währungsunion und zur Zeit absoluter Einstellungsstops wurde mir dann eine Lehre im Kopierwerk angeboten. Das war bereits einer dieser Glücksfälle, denn jene Lehre hat mir den Weg zur Schnittmeisterin sehr verkürzt. Nach Abschluss der Lehre wurde ich im März 1952 in der Farblichtbestimmung eingestellt und ohne mein Zutun von den Filmstudios Babelsberg als Schnittassistentin angefordert. Dort landete ich ab September 1952 im Studio für populärwissenschaftliche Filme, Abteilung Lehrfilm. Hier hatte ich wieder Glück, denn bereits nach 14 Tagen wechselte die Kollegin, die ich ersetzen sollte, zum Spielfilm. So setzte ich in 18 Lehrfilme Blenden und Tricks ein und schnitt mit dem Regisseur gleich meine ersten zwei Lehrfilme. Ich hatte dort einen Schneideraum für mich alleine und nun ja die Reste von 20 Filmen. Mit denen begann ich, Bewegungsschnitte zu üben und andere Abfolgen zu testen.

Im Januar 1953 wurde die Lehrabteilung dem Studio für populärwissenschaftliche Filme angeschlossen, wo auch Dokumentar- und Beiprogrammfilme hergestellt wurden, und ich wurde Assistentin bei Putty Krafft [Editorin, die in den 30er Jahren u.a. Filme von Gustav Gründgens und Carl Boese geschnitten hat]. Sie hat mich nicht nur an den Schneidetisch gelassen und mir alles erklärt, sondern gab mir auch Restmaterial vieler Filme, an dem ich mich ausprobieren konnte. Endlich konnte ich überprüfen, ob der Satz, den ich bei Béla Bálàsz gelesen hatte, stimmt: „Zwei Filme, deren Handlung völlig die gleiche wäre, würden, wenn verschieden im Schnitt, zwei ganz verschiedene Persönlichkeiten ausdrücken, zwei ganz verschiedene Weltbilder darstellen, also verschiedene Filme sein.“

Im Juli 1953 wurde der Film „Ein Schritt weiter“ als Jugendprojekt realisiert, was hieß, daß möglichst der komplette Drehstab von FDJlern besetzt wurde. Das war ich zwar nicht, aber doch die jüngste im Schnitt. Und dann ging es nahtlos weiter, bis Ende des Jahres hatte ich bereits sechs Filme geschnitten. Meine Prüfung bestand ich im Dezember, und ab 1.1.1954 hatte ich meinen Schnittmeistervertrag. Viele, viele Filme folgten bis zur ersten härteren Erfahrung, „Martins Tagebuch“ von Heiner Carow mit Abnahmen und umfangreichen Änderungsauflagen. Ab Juli 1956 wechselte ich dann ins Studio für Spielfilme.

Wie liefen die Abnahmen damals ab?

Die DEFA war praktisch der „Geldgeber“ und hatte dadurch natürlich das Recht zur Kontrolle und zum Einspruch. Brisant wurde es immer, weil wir feste Termine hatten – und die Planerfüllung. Ein Film durchlief zunächst im Studio folgende Abnahmen: Rohschnitt, Feinschnitt vor der Mischung und die Studioabnahme nach der Mischung. Dann erfolgte die staatliche Zulassung durch die Hauptverwaltung Film (HV-Film) und die Freigabe für die Kinos.

Wie war Ihr Beruf in der DDR organisiert? Sie waren zunächst bei der DEFA fest angestellt.

Ja, es gab einen festen Stellenplan. Als ich nach der Geburt meines zweiten Kindes 1961 meine Planstelle einer Kollegin von der Fachhochschule abgetreten hatte, weil ich freischaffend arbeiten wollte, hatte ich große Schwierigkeiten. Ich mußte nachts arbeiten, und erst 1966 wurde ich wieder fest eingestellt.

Wie gestaltete sich die Arbeitsweise zwischen Ihnen und den Regisseuren?

Die Schnittmeister wurden vom Leiter der Endfertigung, der auch Mischtonmeister der DEFA war, für den jeweiligen Film eingeteilt. Regisseure konnten Wünsche äußern, die nach Möglichkeit auch berücksichtigt wurden. Mal klappte es, mal nicht. Es war immer so, daß beginnend mit den Probeaufnahmen dem Regisseur der Schnittraum vom ersten Meter an zur Verfügung stand. Die Probeaufnahmen wurden somit zur ersten Kennenlernphase und Verständigung zwischen Regie und Schnitt. Denn die Besetzung der Schauspieler mußte von der Direktion genehmigt werden. Um aber die Wunschvorstellung durchzusetzen, haben wir schon gleich Abfolgen geschnitten, so daß sich anhand dieser Probeaufnahmen letztlich schon absehen ließ, in welche Richtung der Film gehen wird. Die dabei geführten Gespräche waren für mich der Maßstab, ob wir klarkommen werden oder nicht. Eine partnerschaftliche Arbeit war von Beginn an wichtig, denn spätestens bei der Direktionsvorführung nach 25-30% des Schnitts begann die Trickserei und die Kumpelei. Wir wollten beide in dieser frühen Phase keinesfalls schon alles preisgeben – und schon gar nicht Szenen, die Angriffspunkte oder Diskussionen auslösen könnten. Ich habe mir dann oft nach dem Motto „Leg Musik drauf, ist die Schramme weg“ kleine provisorische Vormischungen erstellen lassen, da wir ja immer nur zweistreifig vorführen konnten, also Bild und Ton.

Der Regisseur Gerhard Klein hatte mal gesagt: „Wir müssen denen das verkaufen.“ Und ich erinnere mich, daß wir bei „Der Fall Gleiwitz“ den Schluß bis aufs Bildchen genau geschnitten hatten. In der Vorführung gingen die Emotionen hoch, alle waren beglückt – wir auch. Wir waren uns ganz sicher: Diese Rolle, dieser Schluß des Films ist perfekt, da wird nichts mehr geändert. Die böse Überraschung war – und das ist eben das, was ich nicht erklären kann – als wir den ganzen Film fertig hatten, stellte sich dieser Effekt nicht wieder ein.

Wie wichtig war gerade die Arbeit im Schnitt in Bezug auf den Umgang mit inhaltlichen und ästhetischen Restriktionen?

Theoretisch waren mit dem abgenommenen Drehbuch auch alle „versteckten Aussagen“ genehmigt. Ich würde denken, daß diese „Aussagen“ in den Abnahmen erfunden wurden, und das oft zu unserer großen Überraschung, weil gar nicht beabsichtigt. Die Kunst bestand dann darin – und das war ja mein Beruf – gemeinsam mit dem Regisseur Wege zu finden, den „Anstoß des Unbehagens“ zu mildern bzw. ohne absolute Entfernung der gesamten Szene zu beheben. Und es ist ja eine alte Weisheit: Der gleiche Satz an anderer Stelle...

Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, daß „Die Russen kommen“ 1988 endlich veröffentlicht wurde. Wie ist das abgelaufen?

Nach einer glanzvollen Studioabnahme, die wir unter großem Zeitdruck erreicht hatten, da der Film ein „Planerfüller“ war, baten wir um zwei zusätzliche Tage des Überarbeitens, was uns vom Studiodirektor auch zugesagt wurde, allerdings nach Vorführung in der HV-Film. Der Film ging dann Ende Dezember zur HV-Film nach Berlin und kam dann sang- und klanglos um den 10. Januar 1968 herum völlig zerfetzt zurück. Ich habe ihn mühselig zusammengeflickt und mir für die Weiterarbeit vom Positiv eine Klatschkopie ziehen lassen, um überhaupt mit den Rollen an den Schneidetisch zu können. Unter Kündigungsandrohungen und, und, und entstand schließlich mit Zitaten aus „Die Russen kommen“ der Film „Karriere“. Da mein Herzblut aber an dem Film hing, habe ich irgendwann „Die Russen kommen“ rekonstruiert und 20 Jahre lang für jeden ersichtlich in meinem Schneideraum gelagert. Konrad Wolf ist 1982 gestorben, aber immer wieder hatte er mich nach dem Film gefragt. 1986 schließlich, wir hatten inzwischen einen anderen Studio-Direktor und auch Filmminister, erklärten sich beide bereit, den Film anzuschauen. Bis heute nicht verstehend, warum er verboten wurde, haben wir ihn dann plötzlich frei bekommen.

Wie ist ganz allgemein Ihre Herangehensweise an einen Film?

Zunächst versuche ich eine genaue Umsetzung des Drehbuchs. Dabei habe ich mir aber alle Möglichkeiten für den endgültigen Schnitt – Film – offengelassen. Also: Alles rein und dann vorsichtig gekürzt. Konrad Wolf liebte das. Da er von Haus aus immer zu lang war, fiel es ihm so herum leichter zu sagen: Gut, das nehmen wir raus oder hier mal versuchen, was wir erhalten können – was dann voll an meine Adresse ging. Da ich für die gesamte Zeit zur Verfügung stand, hatte ich schon während des Drehprozesses die Möglichkeit, mich mit dem Regisseur zu verständigen und zu klären, wo ich Probleme sah. Ich war Partner, ich verstand mein Handwerk und konnte immer Ideen einbringen – aber es war immer Teamarbeit!